Tattoos, Mode, Trost – ein Abend für die Seele der Brustkrebspatientinnen
WANGEN – Einhundertacht Jahre alt ist das Westallgäu-Klinikum, es hat vieles erlebt: Notfälle und Pandemien, Geburten und Heilungen. Zum Laufsteg mutierte das Krankenhaus bis dato noch nie, beim Brustkrebs-Informationsabend gab es die Premiere. Zwanzig Minuten lang präsentierten Isabel aus Esslingen, 47, und Miriam aus Karlsruhe, 35, ausgeklügelte Kompressionsmode, BHs, Tops und Spitze, exakt gesagt die schonende Unterwäsche-Kollektion der Firma Amoena, die speziell auf Brustkrebspatientinnen und Prothesen zugeschnitten ist – unter großem Beifall der 60 Besucherinnen.
„Brustkrebs heißt nicht, ich kann mich nicht sexy anziehen. Das eine schließt das andere nicht aus. Auch Mode hilft, dass betroffene Frauen ihr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl nach einer Operation wiederfinden“, sagte Amoena-Vertreter Stefan Beck. Renate Traut, Onkologische Fachpflegerin in der Klinik und Organisatorin des Abends, gab ihm Recht. „Diese BHs sind mehr als nur Wäschestücke – sie sind Teil einer Therapie.“
Diese Therapie, das viele Hilfsangebote umfassende, ganzheitliche Angebot am zertifizierten Brustzentrum des Westallgäu-Klinikums, stand im Fokus des Abends mit sieben Impulsvorträgen. Dr. Elmar Mauch, Chefarzt der Frauenklinik, referierte zu Beginn über die medizinischen Fortschritte im Kampf gegen den Brustkrebs. „Durch exakte, CT-gesteuerte Bestrahlung, Anti-Hormon-Therapien, zielgerichtete Tumortherapien, Antikörper- und Immuntherapien sowie neue Chemotherapien haben sich die Heilungschancen in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert“, sagte Dr. Mauch. Dies liege auch an der leitliniengerechten Therapie in zertifizierten Zentren, deren Grundsätze an der Oberschwabenklinik rund 400 Seiten umfassen.
„Die Überlebensrate nach fünf Jahren beträgt inzwischen etwa 90 Prozent, und etwa 80 Prozent der Operationen sind heute brusterhaltend möglich. In den meisten Fällen werden nur noch die Wächterlymphknoten entfernt, es muss nicht mehr die komplette Achselhöhle operiert werden. Alle Abteilungen – Gynäkologie, plastische Chirurgie, Pathologie, Radiologie, Strahlentherapie, Onkologie und Psychoonkologie arbeiten hier interdisziplinär zusammen, wöchentlich findet ein gemeinsames Tumorboard statt, in dem die bestmögliche, individuelle Therapie für jede Patientin festgelegt wird“, erläuterte der Chefarzt.
In der komplementären Pflege, die fortan im Fokus stand, geht es dagegen darum, die Patientin mit all ihren Fragen, Zweifeln, Ängsten und Nöten abseits der Medizin zu versorgen – beratend, helfend, kümmernd, im körperlichen und mentalen Bereich. Die Wangener Expertin Renate Traut präsentierte zunächst einen Überblick über seriöse Informationsquellen - etwa die von den Krankenkassen zugelassene Pink-App, die über viele Fragen aufklärt, oder die Krebsberatungsstelle Ravensburg-Wangen, die neben Informationen über Hilfe in der Region und an der OSK Kurse und Workshops anbietet – auch präventiv. „Ich kann nur jeder Frau empfehlen, unsere kostenlosen Brustselbstabtastungskurse zu belegen“, sagte Traut.
Unersetzbar für alle Patientinnen seien zudem psychoonkologische Gespräche, „auch für die Angehörigen, um nach dem ersten Schock der Diagnose eine Strategie zu entwickeln, einen Plan und die richtige Reihenfolge im Handeln“. Auch der Besuch von Haar- und Kosmetikspezialisten bereits zu Beginn der Behandlung sei ratsam, weil die körperlichen Veränderungen das Selbstwertgefühl massiv beeinträchtigen könnten. „Es geht hier nicht um Farbe im Gesicht – es geht um Seelenkosmetik“, sagte Traut, die auch dazu riet, mit den Kindern über Krebs zu reden. „Die Fantasie der Kleinen ist oft viel größer als die Realität. Wenn man nicht über die Krankheit redet, denken die Kinder oft, dass etwas extrem Schlimmes dahintersteckt.“ Die Agentur „Amalie“ helfe, sich auf solche Gespräche vorzubereiten.
Kathrin Bärlosius berichtete über ihre Arbeit als Sozialarbeiterin an der OSK – über Reha-Beratung und ihre Aufklärung zu den Themen Schwerbehindertenrecht, Kranken- und Pflegeversicherung, Hilfsmittel oder Krankengeld.
Auch die MTG Wangen war mit an Bord beim Infoabend – mit ihrem neuen OTT-Programm, der Onkologischen Trainingstherapie, die in Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln entwickelt wurde und Bewegung spezifisch auf die Nöte und Bedürfnisse von Krebspatienten zuschneidet. Selbstbewusstsein, Kraft und positives Lebensgefühl nehmen dadurch laut Studien zu, Ängste, Depressionen und das Fatigue-Syndrom ab. OTT-Therapien gibt es auch in Weingarten.
Die heilsame, schmerzlindernde, beruhigende, körperlich und psychisch vitalisierende Wirkung von ätherischen Ölen, etwa Lavendel, Vanille, Pfefferminze oder Orange, beschrieb danach Aromatherapeutin Manuela Burkhardt von der Firma Primavera.
Die Frauenselbsthilfe Krebs aus Isny, die regelmäßig von insgesamt 50 Patientinnen mit verschiedenen Krebsdiagnosen besucht wird, kümmert sich wiederum um das Seelenheil der Patientinnen. „Wir bieten Hoffnung, Zuversicht, Austausch, Trost, einfach menschliche Zuwendung an. Frauen können bei uns ihre Ängste teilen, Auswege aus ihrer Hilflosigkeit finden und ihren eigenen Weg, mit der Krankheit umzugehen. Nur medizinische Empfehlungen, die wird es bei uns nie geben“, sagte Leiterin Ingrid Beutelspacher.
Tätowiererin Iris Erath gab einen Exkurs zu ihren täuschend echten 3-D-Rekonstruktionen von Brustwarzen und Tattoos, die Operationsnarben verdecken – zu sehen unter honeybeetattoo.de -, ehe die Modeschau den Abend beschloss. Beide Models gaben bekannt, sie seien selbst von der Krankheit betroffen, wie jede achte Frau in Deutschland. Sie erzählten auch, wie sie sich mit ihrer Krankheit in der Großstadt allein gelassen fühlten. „Hier ganz im Süden ist das anders“, schlossen die beiden. „Immer, wenn wir bei Euch sind, erstaunt es uns, wie vernetzt die Hilfsangebote hier sind.“