„Süßigkeiten sollten nicht als Belohnung oder Trost eingesetzt werden“

Dr. Felicia Haug, Oberärztin an der Klinik für Kinder und Jugendliche am St. Elisabethen-Klinikum der Oberschwabenklinik in Ravensburg, über gesunde Ernährung bei Kindern und Jugendlichen und warum Genuss und Freude am Essen betont werden sollten

Ravensburg – Eine ungesunde Ernährung hat für Kinder und Jugendliche negative und häufig langfristige körperliche Folgen, weil sie auch das Leben im Erwachsenalter prägt. Etwa 1,7 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 17 Jahren haben Übergewicht - ein Anteil von etwa 15 Prozent. Etwa sechs Prozent haben starkes Übergewicht, also Adipositas. Die Zahlen steigen. Wir essen zu süß, zu fettig, zu salzig, zu viel, das wissen viele. Was aber sollten Kinder stattdessen zu sich nehmen? Dr. Felicias Haug, Oberärztin an der Klinik für Kinder und Jugendliche am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg, klärt im Interview auf. Dr. Haug erwirbt derzeit die Qualifikation zur „Zusatzbezeichnung Ernährungsmedizin“.

Frau Dr. Haug, was exakt wird unter einer gesunden und ausgewogenen Ernährung verstanden?

Dr. Haug: Eine gesunde, ausgewogene Ernährung bei Kindern ist das, was man als sogenannte „optimierte Mischkost“ bezeichnet. Das bedeutet, pflanzliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse - am besten frisch oder tiefgekühlt - und Vollkornprodukte kommen reichlich vor auf dem Speiseplan. Tierische Lebensmittel wie Milch, Milchprodukte, Fleisch, Wurst, Fisch und Eier sollten nur mäßig verzehrt werden. Möglichst wenig zu sich führen sollte man fett- und zuckerreiche Lebensmittel, Süßwaren oder Knabberartikel. Diese werden auch als „geduldete“ Lebensmittel bezeichnet und sollten mengenmäßig höchstens zehn Prozent der Gesamtenergiezufuhr betragen. Auch Speisesalz lieber sparsam verwenden - und immer als jodiertes Salz.

Frage: Kindern Süßigkeiten zu verbieten, ist vermutlich aussichtlos.

Dr. Haug: Wichtig ist bei Kindern, dass es keine verbotenen Lebensmittel gibt. Verbote sind in der Ernährungserziehung kontraproduktiv und machen diese Lebensmittel nur interessanter. Kinder sollten einen gesunden, möglichst bewussten Umgang mit diesen verführerischen Produkten lernen, auch mit süßen Getränken. Getränke sollten im Sinne einer gesunden Ernährung energiearm oder besser -frei sein: Bestenfalls sollten Kinder also Wasser trinken. Vorsicht auch vor sogenannten „Kinderlebensmitteln“, die speziell für Kinder vermarktet werden. Sie sind häufig mit Nährstoffen angereichert, werden als Gebäck oder Süßwaren verkauft und haben keine Vorteile gegenüber herkömmlichen Lebensmitteln.

Frage: Was ist mit Weizenbrötchen oder Nudeln, die bei Kindern so beliebt sind, und was mit Fertiggerichten?

Dr. Haug: Im Optimalfall sollten Brot und andere Getreideprodukte sowie Nudeln zu mehr als 50 Prozent aus Vollkorn bestehen. Von Fertiggerichten ist aufgrund der hohen Energiedichte und des Fettgehalts abzuraten. Häufig enthalten diese auch Speisefette tierischen Ursprungs. Gesünder stattdessen sind pflanzliche Ölen wie etwa Rapsöl. Fertigprodukte enthalten zudem zu viel Salz.

Frage: Warum ist eine gesunde Ernährung gerade bei Kindern und Jugendlichen wichtig?

Dr. Haug: Weil sie den Grundstein für die Zukunft dieses jungen Menschen legt. Für eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen braucht es eine gute Basis, eine ausgewogene Zufuhr der richtigen Lebensmittel und den richtigen Umgang mit Mahlzeiten.

Wichtig ist, Kindern bereits in jungen Jahren Freude an gesunder Ernährung und gesundem Essverhalten zu vermitteln. Dazu gehören auch gemeinsame warme Mahlzeiten am Tisch in entspannter Atmosphäre ohne Ablenkung durch TV, Tablet oder Smartphone. Allerdings bitte zu keiner Zeit Zwang ausüben. Bei Kindern sollten die Freude und der Genuss am Essen hervorgehoben werden, nicht der Gesundheitswert. Sie sollen ein Angebot bekommen, aber selbst entscheiden dürfen, wieviel sie wovon essen wollen. Nur so kann sich ein Sättigungsgefühl gesund entwickeln. Süßigkeiten sollten nicht als Belohnung oder Trost eingesetzt werden. Im weiteren Leben kann dies leicht dazu führen, dass auch im Erwachsenenalter das Essverhalten von äußeren Reizen abhängig gemacht wird – Stichwort „emotionales Essen“. Essen zur Gefühlsregulation ist auf Dauer schädlich.

Frage: Was hat es für Folgen, wenn Eltern das Essverhalten ihrer Kinder nicht positiv prägen?

Dr. Haug: Ein erhöhter Konsum von ungesunden, zu energiereichen, fett- und zuckerhaltigen Lebensmitteln im jungen Kindes- und Jugendalter führt zumeist früh zu Übergewicht/Adipositas und Folgeproblemen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2, Fettstoffwechselstörungen oder Gelenkbeschwerden. Das sind letztlich klassische Wohlstandserkrankungen im Sinne des metabolischen Syndroms. Man sollte von klein auf gegensteuern, denn: Eine Ernährungsumstellung im Erwachsenenalter ist immer schwieriger als das Erlernen einer gesunden Lebensweise und Ernährung als Kind.

Frage: Was benötigen Kinder noch, um zu einem gesunden Erwachsenen zu reifen?

Dr. Haug: Ein liebevolles, verständnisvolles, gewaltfreies Umfeld ist natürlich die erste Voraussetzung für eine gute Entwicklung. Kinder brauchen außerdem körperliche Betätigung, Bewegung, viel frische Luft und gleichaltrige Freunde und Spielkameraden. Und nicht zuletzt auch Gesundheitsvorsorge: etwa regelmäßige zahnärztliche Kontrollen, kinderärztliche Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen.

Frage: Was halten Sie von vegetarischer Ernährung bei Kindern und Jugendlichen?

Dr. Haug: Aus kinderärztlicher Sicht ist grundsätzlich nichts gegen eine vegetarische Ernährung bei Kindern und Jugendlichen als Dauerkost einzuwenden. Wichtig ist jedoch, dass Eisen, Zink und Vitamin B12 durch andere Nahrungsmittel als Fleisch (eventuell auch in Tablettenform) zugeführt werden.

Frage: Wie sieht es mit veganer Ernährung aus?

Dr. Haug: Eine vegane Ernährung kann aufgrund der aktuell unzureichenden medizinischen Datenlage für Kinder und Jugendliche nicht empfohlen werden. Vitamin B12 ist nur in tierischen Lebensmitteln in nennenswerten Mengen zu finden. Daher muss es bei veganer Ernährung in jedem Alter substituiert werden. Vorsicht ist zudem geboten bei Getreidedrinks als Milchersatz, sie enthalten meist nicht ausreichend Calcium. Auch die Zufuhr von Vitamin D erreicht bei veganer Kost nicht die empfohlenen Mengen und muss ebenfalls zusätzlich verabreicht werden.

Frage: Was ist bei Säuglingen und Kleinkindern zu beachten? Und gelten für kranke Kinder andere Gesetze?

Dr. Haug: In den ersten vier bis sechs Monaten sollten Säuglinge wenn möglich voll gestillt werden, Muttermilch enthält alle wichtigen Nährstoffe und Antikörper, die das Kind benötigt. Darüber hinaus sind beispielsweise noch wertvolle Antikörper zur Infektabwehr enthalten. Kranke Kinder sind oft schwierig zu ernähren. Es fehlt ihnen an Appetit, und es gibt Phasen, in denen man froh ist, wenn sie überhaupt noch trinken. Dann sollen sie essen dürfen, worauf sie gerade Lust haben, und dann sind auch gesüßte Getränke erlaubt, um wieder zu Kräften zu kommen.