Prof. Zwingmann hilft gefoltertem Flüchtling: Millimeterarbeit per Magnetnagel

Prof. Jörn Zwingmann, Chefarzt der Unfallchirurgie am St. Elisabethen-Klinikum, setzt auf neue Technik in der Knochenverlängerung

Die unterschiedliche Beinlänge wurde durch die Operationen von Prof. Jörn Zwingmann wieder angeglichen.

Die unterschiedliche Beinlänge wurde durch die Operationen von Prof. Jörn Zwingmann wieder angeglichen.

Prof. Jörn Zwingmann, Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg.

Prof. Jörn Zwingmann, Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg.

Adam Chaka (Name geändert) hat seinen Optimismus wiedergefunden. Als sich der Afrikaner am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg mit Prof. Dr. Jörn Zwingmann zum Bild aufstellt, lächelt er, trotz oder gerade wegen seines Verbands am Bein. Grund: Prof. Zwingmann, Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie, setzte Chaka in vier Hightech-Operationen jene falsch verwachsenen Knochen am rechten Schienbein wieder zusammen, das Polizisten ihm 2012 zertreten hatten.   Chaka war damals in seiner Heimat bei der Arbeit verhaftet und mit Fußtritten malträtiert worden. Die Polizisten wollten ein falsches Geständnis von ihm erpressen, sagt Chaka, sein Schienbein zersplitterte in mehrere Trümmer. Nach langem Aufenthalt im Krankenhaus, wo das Bein nicht operiert, sondern lediglich eingegipst und ruhiggestellt wurde, entkam Chaka den Gewalttätern und floh. Eine lange Odyssee folgte. Über Marokko und Spanien landete Chaka Ende 2014 im Kreis Ravensburg. Dort begann er zügig zu arbeiten, trotz der Verletzung, die Dauerschmerzen in Bein, Rücken und Hüfte verursachte. 2016 bot ihm eine regionale Handwerkerfirma eine Ausbildung an, die Adam Chaka 2019 erfolgreich abschloss.

 „Ich habe nie gefehlt in dieser Zeit, aber ich hatte ständig Schmerzen“, erzählt Chaka. Schließlich nahm sich Dr. Franz Maurer, Prof. Zwingmanns Vorgänger als Chefarzt am EK, dem Flüchtling an. „Er riet mir sofort, mich operieren zu lassen“, erzählt Chaka, „sonst bekäme ich massive körperliche Probleme durch die Fehlbelastung.“ Weil ihn die langwierige Behandlung ein Jahr arbeitsunfähig gemacht hätte, empfahlen ihm seine Betreuer, zunächst die Ausbildung zu beenden, um den Abschluss nicht zu gefährden. Via Schuhsohle versuchte Chaka fortan, seine Schmerzen zu lindern. Mittlerweile, vier Operationen und drei Jahre später, ist er schmerzfrei.

Prof. Zwingmann blickt zufrieden auf die Behandlung zurück, der Fall sei nicht alltäglich, sagt er. „Das Bein des Patienten war in massiver Fehlstellung zusammengewachsen und um 4,5 Zentimeter verkürzt. So etwas sieht man selten. In einem Land mit funktionierendem Gesundheitssystem würde man solche Brüche niemals eingipsen und willkürlich anwachsen lassen. Das Gangbild des Patienten war zwangsweise unnormal und unrund, ohne Ausgleich lief er schief und bekam eine Fehlhaltung. Das Becken kippte, die Wirbelsäule arbeitete dagegen, das verursachte zwangsläufig Rückenschmerzen.“

Um das Schienbein wieder in die natürliche Position zu bringen, musste Prof. Zwingmann den Patienten zwei Mal jeweils drei Stunden lang operieren. Es waren diffizile Eingriffe. „Beim ersten Mal wurde der Knochen in einer Osteotemie durchgesägt und die Fehlstellung aufgehoben, damit die Achse wieder stimmt. Die Knochen standen ja quer übereinander, alles war verschoben, verkippt und verkürzt. Ein kleines Stück des entstandenen Knochenwusts musste ich zudem noch wegmeißeln.“ Mit einem Nagel fixierte der Chefarzt die zwei Knochen Bei der zweiten Operation wechselte Prof. Zwingmann den Nagel aus und sägte den Knochen weiter oben an zwei Stellen durch. Grund: Der Knochen dort ist größer, mehr neuer Knochen kann sich bilden. Die Knochenenden verband der Chefarzt mit einem Spezialverlängerungsnagel, auch Teleskop- oder Marknagel genannt, der via magnetische Sonde gesteuert wird. Ähnlich eines Herzschrittmachers ist sie unter der Haut implantiert. Fünfzig Tage lang musste Adam Chaka in der Folge den Nagel via Magnetspule dreimal am Tag um insgesamt 0,9 Millimeter in die Länge ziehen, bis schließlich 4,5 Zentimeter neuer Knochen geschafft waren. Eine schmerzhafte, aber heilsame Prozedur.

Inzwischen, nach zwei weiteren Operationen, bei denen Schrauben, Nagel und Sonde entfernt wurden, ist Prof. Zwingmanns Werk vollbracht. „Damit ist der Patient implantatfrei und hat wieder zwei gleich lange Beine“, sagt der Chefarzt.

Im Fall Chaka benutzte Prof. Zwingmann als einer der ersten Operateure in Deutschland jenen Nagel, der via Magnetspule von außen gesteuert und ausgefahren werden kann. „Ein motorisierter Nagel ist nicht nur elegant, sondern für den Patientenkomfort ein großer Fortschritt“, erläutert der Chefarzt. „Man hat eben nicht monatelang ein störendes Metallgerüst vor dem Schienbein, sondern kann als Patient den Nagel und damit praktisch den Knochen selbst von zu Hause via Spule verlängern und hört dabei über das Stethoskop jeden Millimeter Drehung.“ Für die Genesung brauche man parallel Physiotherapie und viel individuelles Training, um auch die Sehnen und Muskeln zu verlängern.

Adam Chaka hat Stunden lang trainiert, mit Erfolg. Er arbeitet wieder, seine Firma hat an ihm festgehalten. Noch wichtiger ist: Er kann wieder gehen. „Ich bin Prof. Zwingmann sehr dankbar“, sagt er. „Es geht mir gut. Ich kann wieder normal laufen.“