„Mama, du musst positiv denken, dann wird alles gut“
RAVENSBURG/HIRSCHLATT – An den Tag, der ihre Welt zum Einstürzen brachte, erinnern sich Jasmin und Thomas Schorpp so genau, als sei er gerade erst vergangen. „Es war der 7. Dezember 2023, 14.30 Uhr“, sagen die Eltern aus Hirschlatt bei Friedrichshafen sofort. Exakt zu jener Zeit erläuterte Dr. Martin Riester, Kinder-Onkologe am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg, ihnen das Blutbild ihrer fünfjährigen Tochter. Laura war seit Wochen erschöpft gewesen, hatte sich vom Kindergarten zum Sofa und ins Bett geschleppt, bis der Kinderarzt sie schließlich ans EK überwies. Das Blutbild ergab: Laura hatte einen Hämoglobin-Wert von 2,8, bei gesunden Kindern liegt der Wert bei zwölf. Ihr Knochenmark produzierte kranke weiße Blutzellen, sie hatte zu wenig gesunde weiße (Leukozyten) und rote Blutkörperchen (Erythrozyten) sowie Blutplättchen (Thrombozyten) im Blut, die Diagnose lautete: „Akute lymphatische Leukämie“. Es ist die häufigste Leukämie-Art. Und es war ein Schock.
Dr. Riester und sein Team reagierten sofort. Laura bekam umgehend eine Bluttransfusion, der Oberarzt kontaktierte parallel die zertifizierten Kinderkrebszentren der umliegenden Unikliniken, in denen die stationären Chemo- und Strahlentherapien der Kinder aus unserer Region stattfinden. Die Schorpps entschieden sich für das Olgahospital in Stuttgart, sie hatten Verwandte in der Nähe. Bereits am nächsten Tag wurden Laura und ihr Vater dort aufgenommen – via Krankentransport -, die Mama regelte zuhause alles und fuhr nach. Es war der Beginn einer neunmonatigen Intensivtherapie, die erste von 77 Fahrten in die Landeshauptstadt und der Anfang einer Leidenszeit, die vom ständigen Wechsel aus Höhen und Tiefen, von Weinen und Lachen geprägt war wie ein Meer aus Ebbe und Flut. Bei Jasmin Schorpp, die in Weingarten an der PH arbeitet, reagierte bei aller Energie lange die Angst. „Natürlich funktioniert man und tut alles Menschenmögliche, was man nur kann. Aber wenn man kurz einmal zur Ruhe kommt, beginnt natürlich das Grübeln. Da sind schon viele Tränen geflossen.“ Vor allem auch dann, als die Eltern die Nachricht bekamen, dass ein zwölfjähriges Mädchen, mit dem Laura in Stuttgart Freundschaft geschlossen hatte, an einem Hirntumor gestorben war.
Es war schließlich auch Laura selbst, die die Mutter mit ihrer Fröhlichkeit ansteckte und den Glauben zurückgab: „Einmal sagte sie zu mir: ,Mama, du musst nicht traurig sein. Du musst positiv denken, dann wird alles gut.‘ Wenn dir das dein fünfjähriges Kind sagt, dann solltest du dich als Erwachsener dran halten“, erzählt Jasmin Schorpp. „Wir haben ihr gleich erklärt, dass sie schwer krank ist, damit sie unsere Aufregung und alle Behandlungen versteht, aber sie hat alles sehr tapfer mitgemacht, selbst, als ihr die Haare ausgefallen sind.“ Thomas Schorpp sagt, er habe relativ schnell wieder Zuversicht gefunden: „Als die Ärzte uns sagten, es gebe bei dieser Art von Leukämie inzwischen eine über 90-prozentige Heilungschance – vor 50 Jahren war Leukämie fast ein Todesurteil -, da war ich mir sicher, sie schafft das.“
Am Dienstag im EK in Ravensburg, 14 Monate später, ist tatsächlich kaum mehr etwas zu spüren von Lauras Krankheit. Die Sechsjährige und ihre zweieiige Zwillingsschwester Hanna, die beide im EK geboren wurden, sind ins Spiel vertieft. Einmal erwähnt der kleine Lockenkopf mit strahlenden blauen Augen ganz stolz, dass ihr Papa nicht nur Projektleiter bei IFM in Tettnang, sondern vor allem auch der Übungsleiter im Turnverein sei. Sie darf da jetzt nämlich wieder mitmachen, hüpfen, springen, tanzen, einfach alles. Nachdem sie ein Jahr nicht einmal in den Kindergarten durfte, um zu verhindern, dass sie sich einen Infekt zuzieht.
Seit September erhält Laura eine Erhaltungschemotherapie in Tablettenform, „damit auch die letzte Krebszelle erwischt wird“, wie es die Eltern formulieren. Alle zwei Wochen sind die Schorpps nun am EK bei Dr. Riester zur Blutuntersuchung und Dosierung der Medikamente. Sie sind erleichtert – und mehr als glücklich über die Betreuung in Stuttgart und in Ravensburg, wo Laura zwischen ihren Intensiv-Chemotherapien betreut und bei Fieberschüben auch stationär behandelt wurde. „Einmal sind die Pflegerinnen und Pfleger extra für Laura nach Dienstschluss dageblieben, haben das Zimmer bunt dekoriert und eine Tanzparty für sie veranstaltet. Wir haben uns hier und in Stuttgart menschlich und medizinisch wunderbar aufgehoben und geborgen gefühlt“, sagt Jasmin Schorpp, „und sind dem Team von Herrn Riester einfach nur dankbar.“
Die kleine Laura ist eines von 40 krebskranken Kindern, das Dr. Riester, Oberarzt in der Kinderklinik im Team von Chefarzt PD Dr. Andreas Artlich, in Ravensburg betreut. Jedes 350. Kind in Deutschland leidet an einer Krebserkrankung, die Heilungschancen steigen stetig an dank medizinischer Fortschritte und digitaler Kinderkrebsregister. Dr. Riester, selbst Vater dreier Kinder, kontrolliert mit seinem Team die kleinen Patienten, die aus einem Umkreis von 60 Kilometern stammen, in der insgesamt zweijährigen Behandlungszeit regelmäßig. Er übernimmt die Antibiotikatherapien bei schwacher Immunlage, führt die ambulanten Chemotherapien der Kleinen durch. Und er spült die unter der Haut der Kinder angebrachten Chemotherapie-Katheter. Auch die Nachsorge nach abgeschlossenen Tumorbehandlungen kann bei ihm erfolgen.
Für die Familien der Kinder ist die ambulante Hilfe der OSK, die Dr. Sebastian Hütker, der Vorgänger von Dr. Riester, aufgebaut hat, ein Segen. „Wir sind räumlich zwei Stunden entfernt von den kinderonkologischen Zentren in Freiburg, Stuttgart, Tübingen, Ulm oder Augsburg“, sagt Dr. Riester, „deshalb helfen wir den Familien hier, wo wir können. Müssten die Eltern mit ihren Kindern wegen jedem Blutbild ein bis dreimal pro Woche an eine Uniklinik fahren, wären sie zumeist einen ganzen Tag weg von Zuhause und säßen im Auto, während das erkrankte Kind oft Übelkeit verspürt.“ Durch die Anlaufstelle in Ravensburg verliere die Familie nicht so viel Zeit, und das Kind bleibe länger in seinem gewohnten Umfeld. „Das ist eine große Erleichterung. Jede Minute in dieser Intensivzeit, in der das Kind zuhause sein kann, ist eine wertvolle Zeit, die auch den Geschwistern und Eltern zugutekommt“, erklärt Dr. Riester.
Tatsächlich ist das Daheimbleiben ein großer seelischer Gewinn für die Kinder. Jasmin Schorpp erzählt, dass sie mit Laura in einer Woche viermal nach Stuttgart und zurückgefahren sei. „Sie wollte unbedingt zuhause in ihrem Bett schlafen und bei uns allen sein.“
Zum Weltkinderkrebstag am Samstag wünscht sich die Familie nur eines: „Wer wirklich etwas für krebskranke Kinder tun will, der sollte Blut spenden. In Stuttgart mussten wir einmal 24 Stunden auf die Transfusion warten. Das Blut war einfach alle - obwohl Laura die häufigste Blutgruppe hat.“ Für das Therapiesystem in Deutschland finden Jasmin und Thomas Schorpp nur lobende Worte: „Hier greift ein Rad in das andere, jede Therapie ist abgestimmt, jeder Handgriff verläuft exakt nach Plan. Das hat uns immens geholfen und beruhigt.“