„Auch mit Knie- und Hüftimplantaten ist Sport jederzeit wieder möglich und empfehlenswert“

RAVENSBURG - Regelmäßig informieren Professor Dr. Jörn Zwingmann, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg, und der Leitende Oberarzt Raymund Bay über hochmoderne, minimalinvasive und schonende Verfahren in der Gelenkmedizin, die die Genesung und Heilung der Patienten beträchtlich beschleunigen und an den High-Tech-Standorten der Oberschwabenklinik in Ravensburg und Wangen mit großer Expertise angewandt werden.

Mehr als 50 Zuhörer weilten kürzlich im EK bei ihrem Vortrag zum Thema „Aktiv mobil bleiben durch minimalinvasive Endoprothetik“. Sie erfuhren, wie sich die Gelenkmedizin weiterentwickelt hat, welche Indikationen für ein künstliches Gelenk sprechen, wie eine digitale OP-Planung abläuft und warum es individueller Therapiekonzepte statt Musterlösungen bedarf.

Mehr als 400.000 Endoprothetik-Eingriffe finden pro Jahr in Deutschland statt, führte Prof. Dr. Zwingmann aus, 240.000 im Hüft-, 190.000 im Kniebereich. Die Patienten sind im Schnitt 65 Jahre alt. Modernes Material wie Chrom-Kobalt-Molybdän, Titan, hochvernetztes Polyethylen, Keramik und Kohlefaser machen Implantate heute belastbar und immer langlebiger, trotz steter Reibung und Abnutzung im menschlichen Körper. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Knieendoprothese zehn Jahre ohne Wechsel hält, beträgt 95 Prozent und korreliert mit der Belastung. Im Schnitt halten Gelenkprothesen sogar 20 Jahre, Tendenz noch immer steigend. 
 

Begonnen hat die Kunst der Endoprothetik vor 130 Jahren mit heutzutage skurril klingenden Werkstoffen, berichteten Prof. Zwingmann und Oberarzt Bay: mit Elfenbein nämlich. 1890 pflanzte der Berliner Chirurg Themistocles Gluck einem Patienten ein Elfenbein-Scharniergelenk als Handgelenksersatz ein. Das funktionierte zunächst, nach einer Entzündung musste der Elefantenknochen aber wieder entfernt werden. Versuche anderer Pioniere, Gelenke mit Schweineharnblasen-Interponaten, Holz- Magnesium-, Gummi-, Glas- oder Metallimplantaten langfristig funktionsfähig zu halten, scheitern ebenso.

Heute ist Endoprothetik Hightech-Wissenschaft. Nicht nur Material und Kunststoffe für die Gelenke werden dank Nanotechnologie und medizinisch-digitalem Fortschritt ständig perfektioniert und neu kombiniert, auch die OP-Methoden. Inzwischen gibt es Prothesen, deren Design speziell für minimalinvasive OP-Methoden entwickelt wurden, jene also, die Chefarzt Prof. Zwingmann und Bay regelmäßig in Ravensburg praktizieren.

Prof. Zwingmann führte in Ravensburg 2020 minimalinvasive Hüftgelenksoperationen ein via AMIS-Zugang (Anterior Minimally Invasive Surgery), er schwärmt von den Vorteilen: „Diese OP-Technik ist die einzige, welche zwischen den Muskeln und Nerven verläuft“, erklärt er. „Dadurch wird das Risiko, Muskeln, Sehnen, Gefäße und Nerven zu verletzen, beträchtlich vermindert. Darüber hinaus bringt der AMIS-Zugang erwiesenermaßen eine deutliche Schmerzreduktion, einen verringerten Blutverlust und ein geringeres Luxationsrisiko mit sich. Die Folge ist ein großes Plus in punkto Lebensqualität: Der Patient ist viel schneller wieder schmerzfrei, fit und belastbar.“ 

Ziel der Ärzte an der OSK ist es, die Lebensqualität der Patienten wiederherzustellen und ihnen ihre Beweglichkeit im Alltag und beim Sport zurückzugeben. „Menschen werden immer älter und möchten auch im Alter körperlich aktiv sein und Sport treiben, das gehört auch zur Lebensfreude“, sagte Raymund Bay und hatte gute Nachrichten: Grundsätzlich seien alle Sportarten nach Arthrose auch mit einem künstlichen Hüftgelenk dank perfekter Mechanik und Gelenkfunktion wieder möglich – zuvor habe die Gelenkarthrose dies oft verhindert. „Nach der OP wieder Sport zu treiben ist auch empfehlens- und wünschenswert, aus mehreren Gründen: weil Bewegung die knöcherne Integration der Prothese verbessert, das Lockerungsrisiko senkt, die muskuläre Leistungsfähigkeit steigert und das Herzinfarktrisiko senkt“, sagte Raymund Bay. Auch mit Prothese sei es so, dass gelenkschonende Sportarten – etwa Schwimmen, Radfahren, Walking/Wandern, Langlauf - besser für die Stabilität des Gelenks seien als High-Impact-Sportarten wie Ballsportarten, Kampfsport oder Skifahren. „Je actionreicher die Sportart, umso mehr Stress und Belastung lastet auf Prothese und Knochen und der Kontaktfläche Knochen/Zement“, sagte Bay. 

Physiotherapeutin Anna-Julia Bay, Mastersstudentin in angewandter Gesundheitsförderung (Hochschule Furtwangen) und Tochter des Leitenden Oberarztes, betonte in ihrem Vortrag, wie wichtig es sei, nicht nur nach der Operation, sondern auch zuvor bis zum Eingriff Sport zu machen und sich zu bewegen – Stichwort Prähabilitation. Dies beschleunige den Reha-Verlauf, stärke Muskulatur, Ausdauer, Flexibilität und Beweglichkeit des Körpers und der Gelenke. Auch nach der Operation sei eine Frühmobilisation unter Begleitung leitliniengerechter Physiotherapie entscheidend: Bewegungsübungen, Muskelaufbau, Kräftigung und Stabilität des Körpers, auch eine Gangschulung. „Wir beraten Patienten und leiten sie an.“

Die Studentin forscht derzeit an einem appgestützten Versorgungskonzept für Menschen mit Hüftgelenkersatz. Sie sucht Interview-Teilnehmer, die die Testversion der App, die etwa mit Erklärvideos Unterstützung bei den Reha-Übungen leistet, bewerten. Wer vor einer Hüftoperation steht und mitmachen möchte, wende sich via aktivmobilbleiben@outlook-nospam.de direkt an Anna-Julia Bay.